Es liegt viel Spannung in der Luft. Weltweit und vielleicht auch in unseren Familien und engsten Beziehungen.
Weihnachten naht – das Fest der Liebe. In der Zeit brechen oft auch die Schatten auf. All das, was «nicht Liebe» ist. Schwierige Gefühle in uns – Spannungen um uns herum.
Die gute Nachricht ist: Ich bin erleichtert, wenn ein Paar noch streiten kann. Denn dann ist noch Energie in der Beziehung. Dann besteht noch der Mut zur Ehrlichkeit, das auszudrücken, was wirklich beschäftigt.
So paradox es klingen mag – manchmal lernen Paare bei mir zu streiten. Sie lernen, sich auf eine faire Art auseinanderzusetzen. So, dass jeder sich getraut zu sagen, was er denkt und fühlt. So lässt sich der Widerstand in der Beziehung überwinden.
Wenn ich dem Frieden zuliebe nur noch schweige, dann ist die Beziehung nahezu am Ende. Es ist keine Energie und keine Motivation mehr da, mich mit meinen Gedanken und Gefühlen ehrlich zu zeigen. Denn damit würde ich mich verletzbar machen. Mein Gegenüber sieht vielleicht manches anders. Das darf ich aushalten. Es kann weh tun.
Es ist nicht ein Schmerz, der mich umbringt. Ich lasse ihn zu. Ich lasse das Anders-Sein meines Gegenübers einfach einmal da sein, ohne mich dagegen zu wehren. Ohne einzugreifen, zu erklären, zu rechtfertigen. Ohne Widerstand zu leisten.
Vielleicht werden wir beide emotional. Und dann ist wichtig, das zu bemerken: Wir sind jetzt beide emotional. Das darf sein, ist menschlich, wir müssen es nicht verurteilen und keinen Widerstand machen dagegen. So können wir den Widerstand in der Beziehung überwinden.
In dem Moment, wo wir es merken, ist es gut, innezuhalten. Denn dann weiss ich: Ich bin jetzt nicht mehr bei mir, ich bin gefangen in negativen Gefühlen und Gedanken. Ich bin nicht mehr hier und jetzt präsent, sondern beherrscht von alten Geschichten oder zukünftigen Befürchtungen.
Natürlich fällt mir das vor allem bei meinem Gegenüber auf. ER ist emotional und verstrickt, ICH nicht . Das zu durchschauen ist ein weiterer Meilenstein.
Die scheinbar schlechte Nachricht: Ich kann immer nur in meiner eigenen emotionalen «Rumpelkammer» aufräumen. Wenn ich das mache und mein Herz öffne für die unangenehmen Gefühle, dann geht es mir besser. So kann ich den Widerstand in der Beziehung überwinden.
Wenn ich Frieden finde in mir, dann strahle ich Frieden aus. Der Frieden ist ansteckend. Das emotional Aufgewühlte auch.
Ich persönlich habe in den letzten Jahren immer stärker erfahren: Wenn ich es zulasse, emotional aufgewühlt zu sein, wenn ich diese Gefühle wirklich zulasse, sie auch ausdrücke und mein Herz für sie öffne, dann steigt meine Motivation, nach dem Sturm einen noch grösseren Frieden und eine tiefere Stille in mir zu finden.
Neue Erkenntnisse tauchen auf, Wachstum geschieht. Der Widerstand in der Beziehung wird überwunden.
Eine lebendige Beziehung zu führen heisst nicht, ständig Friede, Freude Eierkuchen zu haben und falls das nicht möglich ist, sich zurückzuziehen, anzupassen und den Ball nur noch flach zu halten. Denn dann wird die Beziehung öde.
Je bewusster wir werden, je mehr wir uns selbst reflektieren und ehrlich wahrnehmen, umso tiefere Gefühle können wir zulassen, ohne dass die Beziehung auseinanderbricht oder untauglich wird für den Alltag.
Ich fasse zusammen, was du machen kannst, wenn es in deiner Beziehung oder auch mit der Familie am Weihnachtstisch emotional wird.
- Nimm wahr, wenn die Situation an Emotionalität zunimmt. Das rechtzeitig zu erkennen ist der erste Schritt.
- Nimm deinen Körper und deinen Atem wahr. Gleite nicht ab zu den andern, sondern bleib mit dieser Technik bei dir und im gegenwärtigen Moment.
- Nimm deine Gedanken und Gefühle wahr. Mach dir bewusst, dass das, was du denkst und fühlst nicht DIE WAHRHEIT ist, sondern das, was du aus deiner Prägung heraus im Moment gerade wahrnehmen kannst. Mach dir klar, dass das auch bei den andern der Fall ist.
- Wenn es die Situation erlaubt: Drück deine Gefühle aus. Verzichte dabei auf Vorwürfe, Kritik, Forderungen und Ratschläge.
- Lass die Äusserungen der andern zu, ohne dich dagegen zu wehren, zu rechtfertigen, zu erklären. Es ist ihres. Es darf genauso da sein wie deins. Nimm wahr, wie es ist, deinen Widerstand abzulegen.
Punkt 5 ist wohl für die meisten von uns der schwierigste Part. Es lohnt sich, überhaupt einmal den eigenen – oft sehr subtilen – Widerstand zu beobachten. Es kann entspannend sein, für einmal keinen Widerstand leisten zu «müssen». Übe das in kleinen, harmlosen Situationen, bevor du dich an die emotionaleren Themen wagst.
Wenn wir weniger im Widerstand sind mit dem, was gerade ist, können wir den Augenblick mehr geniessen. Es bringt aber wenig, den Widerstand zu unterdrücken. Der erste Schritt der Lösung besteht darin, ihn wahrzunehmen und zu bemerken. Oft ist er so normal, dass er uns gar nicht auffällt.
Wenn ich die Weite des Himmels betrachte oder die Stille eines Baumes auf mich wirken lasse, fühle ich, wie Weite und Stille sich auf mein Herz übertragen. Das lässt Widerstand schmelzen.
Möge die Übung gelingen!
Ganz herzlich
Anne-Katrin