Herzensarbeit togge

Warum wir aus einer Mücke einen Elefanten machen

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Martin lässt häufig abends seine Socken im Wohnzimmer liegen. Er macht Feuer im Ofen, hat mit Emma einen gemütlichen Abend auf dem Sofa und zieht seine Socken aus, da er warme Füsse bekommt.

Am Morgen kommt Emma ins Wohnzimmer und sieht, dass Martins Socken immer noch  auf dem Boden liegen. «Schon wieder!» Emma nervt sich. «Ok, ich sage es ihm jetzt noch einmal ganz freundlich», denkt sie. «Schatz, würdest du bitte jeweils am Abend deine Socken mitnehmen und nicht hier liegen lassen?»

«Ja klar, meine Liebe, das mache ich doch!», meint Martin gut gelaunt. Emma legt die Socken in den Wäschekorb.

Am nächsten Morgen kommt Emma ins Wohnzimmer. Was liegt da auf dem Boden? Wieder ein paar Socken von Martin! «Das darf jetzt aber wirklich nicht wahr sein!» Emma ist empört.

«Hört der mir überhaupt zu? Nimmt der mich noch ernst?» Ihre Gedanken beginnen, unkontrolliert zu kreisen. «Ihm ist alles egal. Er denkt nur an sein Geschäft. Wahrscheinlich komme ich ihm gerade noch gelegen so als seine Putzfrau. So im Sinne von: Ach ja, die Alte räumt das dann schon auf…. Bin ich ihm überhaupt wichtig?» Immer  mehr und schlimmere Gedanken reihten sich in das ohnehin schon drehende Karussel ein:

 « Ich glaube, er liebt mich gar nicht mehr, denn sonst würde er mehr auf meine Wünsche eingehen. Er hat auch schon lange nichts Schönes mehr zu mir gesagt.» Jetzt ist Emma richtig wütend. Sie zittert ein wenig. Ihr Magen verspannt sich.

Ihre Gedanken beginnen zu rasen: «Der Mann meiner Freundin umarmt sie jeden Morgen und sagt ihr, dass er sie liebt. Und mein Mann? Er benutzt mich als Haushälterin und schaut in der Zwischenzeit jüngeren Frauen nach!»

Jetzt ist Emma so ausser sich, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Ihr Gehirn ist auf höchster Alarmstufe  – da gibt es keine alternativen Ideen mehr, sondern nur noch Kampf oder Flucht. Emma schreitet erhobenen Hauptes in den Kampf. Sie schreibt Martin eine wütende Nachricht, dass sie am Abend unbedingt mit ihm sprechen müsse. Dieser fällt aus allen Wolken und ahnt Übles.

Er hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder er erfindet eine Ausrede, dass er länger arbeiten müsse, oder er stellt sich dem Unwetter.

Halten wir hier einmal den Film an. Wir können uns vorstellen, wie er weitergehen könnte.

Der entscheidende Punkt der Geschichte geschieht in dem Moment, als Emma erneut die Socken im Wohnzimmer entdeckt, nachdem sie ihren Mann doch gebeten hatte, sie jeweils wegzuräumen.

Hier verliert Emma buchstäblich das Bewusstsein und gerät in einen alten Film aus ihrer Kindheit, in den sie sich nun hineinsteigert.

Dieses Szenario könnte in unterschiedlichen Varianten die nächsten Wochen und Monate fortdauern und schliesslich zur Trennung führen. Es sei denn, Emma unternimmt eine bewusste Anstrengung und erwacht aus ihrem Alptraum.

Die unabsichtliche Nachlässigkeit ihres Mannes hat in Emma ein verdrängtes,  schmerzhaftes Gefühl aus ihrer Kindheit getriggert: Ihre Eltern hatten eine höchst unglückliche Ehe. Ihr Vater hatte sich ihrer Mutter gegenüber acht-und lieblos verhalten und hatte immer wieder geheime Liebschaften mit jüngeren Frauen. Ihre Mutter nahm zwar alles hin, fühlte sich aber wertlos und gedemütigt.

Aus Liebe zu ihrer Mutter hatte Emma unbewusst die Gefühle von Wertlosigkeit und Demütigung übernommen. Diese ergriffen an jenem denkwürdigen Morgen mit voller Wucht von ihr Besitz. Sie hielten sie fest im Griff. Emma war identifiziert mit diesen unerträglich schmerzhaften Gefühlen. Darum war sie auch vollkommen sicher, dass Martin sie schlecht behandelt und ihr absichtlich weh getan hatte.

Martin hatte keine Chance, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Denn was er auch versuchte, die Situation wurde schlimmer und nicht besser.

Bei mir in der Beratung gelang es Emma, ihre Gefühle bewusst wahrzunehmen und ihr Herz für sie zu öffnen. In dem Moment wurde ihr klar, dass Wertlosigkeit und Demütigung nicht ihre eigenen Gefühle waren, sondern dass sie diese bereits als Kind von ihrer Mutter übernommen hatte.

Durch diese Erkenntnis fielen die fremden Gefühle wie welke Blätter von ihr ab. Sie konnte wieder tiefer atmen, ihr Magen entspannte sich, sie fühlte sich erleichtert und befreit.

Ich forderte sie auf, sich jetzt, mit diesem neu gewonnen Blickwinkel noch einmal ganz konkret an die Situation an jenem Morgen mit den Socken auf dem Boden zu erinnern.

Sie tat es und lächelte. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen: «Ach, Martin ist manchmal einfach vergesslich und mit den Gedanken schon woanders. Ich kann dem jetzt zuschauen und weiss: Mit mir hat das nichts zu tun. Es ist nicht wichtig. Es ist eine Kleinigkeit, über die ich hinwegsehen kann. Es löst nichts mehr aus in mir.»

Auch Martin wurden seine Triggerpunkte bewusst. Denn er hatte wütend und beleidigt auf die Angriffe von Emma reagiert an jenem Abend. Nachdem er diese Gefühle bewusst gefühlt hatte, war er ruhiger und zuversichtlicher, was ihrer beider Zukunft anbelangte.

Nur kurze Zeit später gelang es Martin und Emma, sich herzlich und innig zu umarmen und sich gegenseitig zu sagen, wie Leid es ihnen tat, dass so viele lieblose Worte gefallen waren. Niemand von ihnen hatte das gewollt. Es passierte, weil sie beide in alten, unbewussten Mustern gefangen waren.

Weil sie mit der Zeit immer schneller erkannten, dass es sich bei ihren Zusammenstössen um Gefühle handelte und nicht um fixe Tatsachen, kamen sie in ihrer Beziehung in einen leichteren und freudvolleren Fluss.

Dieser leichte und freudvolle Fluss ist immer nur eine Handbreit von uns entfernt. Sobald wir aufwachen aus alten, schmerzlichen Prägungen, sind wir drin.

Diesen einen Schritt jedoch, den braucht es. Ohne ihn bleiben wir beim Alten, Gewohnten. Irgendwie fühlt sich das behaglich an. Wir wollen dort nicht wirklich raus, aber darin gefangen bleiben fühlt sich auch nicht gut und lebendig an.

Wofür entscheidest du dich?

In Liebe

Anne-Katrin

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